12 Oktober 2010

Oktober


Der dreizehnte Engel

Der dreizehnte Engel, das weiß ich genau,
schneidet die Löcher ins Himmelblau:

ein Guckloch für den Abendstern,
ein Torbogenloch für den Mond,
ein Fensterloch für den alten Herrn,
der über dem Himmelblau wohnt.

Der dreizehnte Engel, das weiß ich genau,
schneidet die Löcher ins Himmelblau:

ein Loch für den hellen Sonnenstrahl,
der dich morgens kitzelt und weckt,
eins für den Blitz, der am Himmel zuckt
und dich dann mit Donnern erschreckt.

Der dreizehnte Engel, das weiß ich genau,
schneidet die Löcher ins Himmelblau:

ein Wolkenloch für den Sonnentag,
in dem sich die Wolken verstecken,
um über Nacht herauszukriechen
und die Erde mit Schnee zuzudecken.

Der dreizehnte Engel, das weiß ich genau,
schneidet die Löcher ins Himmelblau.

Und irgendwann, wenn ich müde bin,
wird er ein Türloch mir schneiden.
Dann führt er mich hinter das Himmelblau
zum Mond, zu den Sternen, zur Wolkenfrau
und dort darf ich schlafen und bleiben.


Aus: Jutta Richter /An einem großen stillen See /Carl Hanser Verlag/ München